Azubis plaudern aus der Westentasche

„Wie viel verdient man?“ „Wie sehen die Abschlussprüfungen aus?“  „Wie erkenne ich meinen Traumberuf?“ Diese und andere Fragen stellten die Schülerinnen und Schüler der dritten und vierten Semester   den Ausbildungsbotschaftern der IHK Nord-Westfalen, die die Abendrealschule Rheine besucht haben. Sieben Azubis aus zwei großen Rheiner Firmen: der Apetito AG und W. Gröning GmbH & Co. KG, gaben den Jugendlichen wichtige Einblicke in das berufliche Leben.

Mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland haben keinen Berufsabschluss und jeder Vierte, der ihn erreichen möchte, bricht die Ausbildung leider ab. Die schockierenden Daten stammen aus dem neusten Berufsbildungsbericht. Damit die Zahlen, die schon seit Jahren kein Grund zur Freude sind, nicht weiter steigen, wirbt IHK Nord Westfalen in Zusammenarbeit mit lokalen Betrieben in den Schulen für einige Ausbildungsberufe.

„Es ist eine tolle Sache“, sagt die Schulleiterin Christiane Beckmann-Veerkamp, „weil man in einer vertrauten Atmosphäre alle Fragen stellen kann, die einen interessieren und die man aus Angst während eines Vorstellungsgespräches nicht stellen würde. Außerdem wissen unsere Schülerinnen und Schüler manchmal gar nicht, welche Ausbildungsberufe es in einer Firma überhaupt gibt“, fügt sie hinzu.

Und tatsächlich ist das Interesse der Schülerinnen und Schüler, die kurz vor dem mittleren Schulabschluss (Fachoberschulreife) stehen, sehr groß. Sie möchten sowohl wissen, wie viel man als Azubi verdient, als auch wie groß die Übernahmechancen sind. Sie fragen aber auch danach, ob es stimmen würde, dass man in der Ausbildung nur ausgenutzt werde.

Majid Mohammadi, der 2015 aus dem Iran nach Deutschland kam, befürchtet, dass nicht alle Chefs so nett sind. „Ich habe Angst, dass ich während der Ausbildung zu viele Fehler mache und dann die Stelle schnell verliere“, sagt der Schüler.

David Lethen, der sich gerade zur Fachkraft für Lebensmitteltechnik bei Apetito ausbilden lässt, beruhigt sofort. „Man muss nicht perfekt sein, wichtig sind die Bereitschaft etwas Neues zu lernen und das Durchhaltevermögen“. Lethen betont, dass die Ausbildung schulisch sehr anspruchsvoll sei.

Da der Job mit einer großen Verantwortung verbunden ist, müsse man lernen, die Entscheidungen schnell zu treffen. „Wir bekommen ungefähr fünf Sekunden Zeit, um eine einfache mathematische Aufgabe zu lösen, für die komplizierten hat man eine halbe Minute, nicht eine halbe Stunde wie im Unterricht“, ergänzt er. „Fehler dürfen aber natürlich in der Ausbildung passieren, es wird einem immer geholfen“, fügt er hinzu.

Von David erfahren die Schüler noch, in welchen Berufen Apetito ausbildet, wie die Gleitzeit funktioniert und dass alle alles machen müssen. „Es ist kein Wunschkonzert, jeder muss alle Abteilungen durchlaufen, auch die zukünftigen Industriekaufleute müssen die Küche putzen“, erklärt der Azubi, der wegen des guten Gehalts in seinem Betrieb aus Köln nach Rheine umgezogen ist.

Das Thema Geld ist auch für kaum einen Schüler ohne Bedeutung. Louay Alhardan, der aus Syrien nach Deutschland kam und kurz vor dem mittleren Abschluss steht, träumt davon, die Ausbildung als Bauzeichner in einem Architektenbüro zu machen. Er hat sogar in München einen Ausbildungsplatz bekommen. „Am Anfang habe ich mich gefreut, als ich aber erfahren habe, dass man da knapp 700 Euro verdient, zerplatzte mein Traum. In München kann ich doch für dieses Geld nicht überleben“, stellt der Schüler verzweifelt fest. Seine Eltern sind zwar mit ihm nach Deutschland gekommen, finanzielle Unterstützung können sie aber dem Sohn nicht gewähren.

Linus Hoff, Ausbildungsbotschafter aus der Firma W. Gröning GmbH &Co. KG schlägt dem Schüler vor, eine WG zu suchen und betont, dass die Azubis, die auf sich alleine gestellt sind, verschiedene Sozialleistungen z. B Wohn- und Kindergeld bekommen können. Auf die Frage, wie sie das finanzielle Problem gelöst hätten, antworten aber alle sechs Azubikollegen ganz ehrlich, dass sie immer noch bei den Eltern wohnen.

Allerdings ist nicht nur das Geld die größte Sorge der jungen Menschen. Vielmehr geht es darum, was passieren wird, wenn sie feststellen, dass der Job doch nicht derjenige ist, den sie bis zur Rente ausüben möchten. Maike Bülter von W. Gröning & Co. KG rät, sich vor der Entscheidung, gründlich zu informieren. „Ihr sollt zuerst am besten in dem Betrieb ein Praktikum machen, kurz Probe arbeiten, bevor ihr die Bewerbung für einen Ausbildungsplatz abschickt“, betont die zukünftige Industriekauffrau. „Das spart die Zeit und erspart euch die Enttäuschung“, fügt sie hinzu.

Für Stefan Dirkes war aber nicht diese Entscheidung, sondern die Umstellung des gesamten Tagesablaufs am schwierigsten. „Es ist ein riesiger Unterschied zwischen dem schulischen und dem beruflichen Leben.“ betont der Azubi. „Man wird einfach erwachsen“, bestätigt sein Kollege Linus Hoof, der zukünftige Industriemechaniker.

Text und Bildmaterial dieser Seite: Weronika Anger