An diesem Fenster gab es keine Pizza zum Mitnehmen. Hier bekamen die Absolventinnen und Absolventen der ARS ihre Abschlusszeugnisse. Das erste Mal in der Geschichte der Schule konnte die feierliche Entlassung wegen der Pandemie nicht im gewohnten Rahmen stattfinden. Aus diesem Grund haben die Lehrerinnen und Lehrer ein Drive in Fenster geöffnet und jeden Schüler persönlich verabschiedet.
Kein letztes Foto mit den Klassenkameraden, keine Abschiedsrede der Schulleitung, kein jubelndes Spalier, keine Umarmungen und auch kein gemeinsames Essen im Restaurant. Nicht mal auf dem Schulhof durften sich die Absolventinnen und Absolventen der Abendrealschule versammeln, um das zu feiern, woraufhin sie viele Monate hart gearbeitet haben. An ihrem letzten Schultag durften sie nur einzeln an das Sekretariatsfenster klopfen. Der Besuch in dem alten Klassenzimmer – selbst mit Maske – war ein Tabu wegen der Schulschließung.
Die Schulleitung und die Lehrkräfte haben aber nicht aufgegeben und doch noch eine kleine Überraschung vorbereitet. „Abschlusszeugnisse per Post zu versenden war für uns keine Option“, sagt Schulleiterin Christiane Beckmann-Veerkamp. „Auch eine Videokonferenz sei irgendwie unpassend. Wir haben uns dazu entschieden, jede Schülerin und jeden Schüler persönlich zu verabschieden, jedem eine besondere Viertelstunde zu schenken, mit warmen Worten, einer Rose, Wunderkerzen und natürlich dem ersehnten Abschlusszeugnis“, erklärt Beckmann-Veerkamp.
18 junge Erwachsene haben diesmal den mittleren Abschluss auf dem zweiten Bildungsweg erreicht, acht davon mit Qualifikation. Für Patrick Gössling war es ein besonderer Moment im Leben. Zum Drive in-Fenster kam er mit dem Auto. Ungeachtet der bitteren Januar-Kälte betrachtete er im eleganten Anzug mit Krawatte in Begleitung seines stolzen Vaters, das letzte Mal das Schulgebäude von außen und genoss das letzte Gespräch mit der Klassenlehrerin.
„Fast drei Jahre habe ich hier durchgehalten, nicht selten bin ich über den eigenen Schatten gesprungen, um meinem Traumberuf beim Zoll ein Stück näher zu kommen“, sagt der 24-Jährige. „Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass so schwierige Zeiten kommen. Gut, dass wenigstens noch so ein Abschied erlaubt wurde“, fügt er hinzu.
Auch der Klassenlehrerin von Patrick fiel es nicht immer einfach, die Emotionen zu verbergen. „Wir haben dieses Mal versucht, das Beste daraus zu machen. So festlich wie möglich – mit so viel Abstand wie nötig wollten wir unseren Absolventinnen und Absolventen zeigen, wie stolz wir auf sie sind“, sagt Gabriele Hopp.
„Einige wollten ja gar nicht nach Hause gehen, die 15 Minuten haben nicht immer gereicht“, bedauert die Lehrerin für Deutsch und Englisch. „Sie wollten selbst im Anorak beim Wind das letzte Treffen mit uns noch etwas länger genießen. Es war so traurig, zu sagen: Sie müssen jetzt gehen, weil gleich um die Ecke der Nächste kommt, dem Sie nicht begegnen dürfen, sagt Hopp.
Am 1. Februar beginnt an der Abendrealschule das neue Semester, dem Schulleiterin Beckmann-Veerkamp zuversichtlich entgegenblickt. „Es wird zwar schwierig, unsere neuen Schülerinnen und Schüler ohne Präsenz fürs Lernen zu motivieren. Wir geben aber auch hier unser Bestes.“ Der Unterricht an der ARS findet momentan in der Videokonferenz nach dem Stundenplan vormittags oder abends statt. Die ARS hat auch schon IPads, die an bedürftige Schüler ausgeliehen werden können, und die Hoffnung darauf, dass es nach dem 14. Februar wieder Präsenzunterricht gibt.
Text von Weronika Anger