„Sexuelle Rechte sind nicht verhandelbar“ – Pro Familia im Gespräch mit jungen Erwachsenen am Weiterbildungskolleg Rheine 

Wie spricht man heute mit jungen Menschen über Sexualität, Vielfalt und Selbstbestimmung? Andreas Hähner, seit 20 Jahren Sexualpädagoge bei Pro Familia Münster, war zu Besuch am Weiterbildungskolleg Rheine und bot Aufklärungsunterricht auf Augenhöhe. In einer offenen Gesprächsatmosphäre vermittelte er Informationen, klärte Fragen – und stellte die Rechte junger Menschen in den Mittelpunkt. 

„Sexuelle Bildung ist heute wichtiger denn je – nicht nur zur Vermeidung ungewollter Schwangerschaften, sondern auch im Hinblick auf Prävention sexualisierter Gewalt“, erklärt der 56-Jährige. Gemeinsam mit zwei Kolleg: innen ist Hähner für die sexualpädagogische Arbeit im Kreis Steinfurt, Coesfeld und in der Stadt Münster zuständig. Doch die Nachfrage übersteigt bei Weitem die personellen Kapazitäten: „Aufs Jahr hochgerechnet schaffen wir rund 75 Projekte – das ist wenig, das reicht vorne und hinten nicht“, so Hähner. Im vergangenen Jahr mussten über 60 Veranstaltungen abgesagt werden. 

Sexuelle Selbstbestimmung als Leitmotiv 

Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht das Ziel, die sexuellen Menschenrechte zu vermitteln – für alle. „Das bedeutet auch, Themen anzusprechen, die vielleicht nicht allen gefallen. Etwa die Lebensrealitäten queerer Menschen. Da stoßen wir immer wieder auf Widerstand – auch in Schulklassen oder Jugendgruppen. Aber Vielfalt ist Realität, und die sexuellen Rechte gelten für jeden Menschen und sind nicht verhandelbar – unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung“, betont Hähner. Dabei sei es essenziell, Freiwilligkeit zu wahren: „Niemand muss etwas sagen, alle dürfen einfach zuhören. Das ist der Schlüssel, warum die jungen Leute sich einlassen – weil sie merken: Das ist ein geschützter Raum“, fügt er hinzu. 

Konservative Werte trotz Sexualisierung 

Auf die Frage, wie sich die Themen und Probleme junger Menschen in den letzten 20 Jahren verändert haben, antwortet Hähner differenziert: „Die Ängste vorm ersten Mal, die Sorge, etwas falsch zu machen – das ist gleichgeblieben. Was sich verändert hat, ist der Zeitpunkt: Jugendliche sind heute im Schnitt fast 17, wenn sie ihr erstes Mal erleben – also deutlich später als früher. Und es soll häufiger in einer festen Beziehung stattfinden. Trotz Social Media ist der Wunsch eher konservativ geworden. Die Sehnsucht geht weg vom schnellen Konsum hin zu echten Beziehungen.“ 

Gleichzeitig sieht er einen kulturellen Spagat: „Viele Jugendliche sind mit extremen Vorstellungen sozialisiert worden – etwa, dass Homosexualität tabu oder sogar strafbar ist. Und dann erleben sie hier in Deutschland plötzlich völlige Akzeptanz. Das stellt ganze Weltbilder infrage.“ 

Sexualpädagogik ist mehr als Aufklärung 

Auch die praktische Umsetzung der Sexualpädagogik ist herausfordernd. Am Weiterbildungskolleg Rheine wurde bewusst mit getrennten Ansprechpersonen für junge Männer und Frauen gearbeitet – um sensible Themen besser vermitteln zu können. „Das ist mehr als Kondome über Bananen zu ziehen“, betont Hähner. „Es geht um verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität, um Kommunikation, um Zugang zu jungen Menschen – und um Vertrauen.“ 

Doch gute Sexualpädagogik braucht Zeit, Fachpersonal und Ressourcen. „Dafür finden wir kaum Fachkräfte, schon gar keine Ehrenamtlichen oder Praktikant: innen – das Thema ist einfach zu sensibel“, sagt Hähner. 

Der Besuch von Pro Familia am Weiterbildungskolleg Rheine zeigt eindrucksvoll, wie wichtig solche Angebote sind – gerade in einer Zeit, in der junge Menschen zwischen Informationsflut, kulturellen Gegensätzen und ganz persönlichen Fragen Orientierung suchen. Geplant sind regelmäßige Besuche der Sexualpädagogen, um allen Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit zu geben, sich in diesem Bereich beraten zu lassen.  

Foto und Text: Weronika Anger